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Freiheit oder Führung

Es ist schon längst kein ganz neues Thema mehr, aber es bestimmt die Arbeit und Meetings von immer mehr Personalern und Führungskräften. Und nicht zuletzt diese – auch Arbeitnehmer stellen sich zunehmend die Frage, in welcher Art von Organisationsform sie eigentlich arbeiten möchten.

Gerade wer sich zu den Fachkräften des Landes zählen darf, hat heute keine größeren Schwierigkeiten mehr, sich den Arbeitgeber auszusuchen. Und wer dazu noch ein Bündel an ganz vorzeigbaren Sozialkompetenzen mitbringt, wird sogar mit Jobangeboten überfallen.

Nun hat sich in den letzten Jahren ein neuer Gedanke weiter fortgepflanzt: Menschen haben keine Lust mehr auf Führung im Sinne von Vorgabe und Kontrolle, noch weniger haben sie Lust darauf, andere erwachsene Menschen zu führen (und zu maßregeln).

Was Start Ups und andere innovative Unternehmen stattdessen vorleben ist eine Organisations- und Führungskultur, die auf Teamarbeit, Augenhöhe, demokratischem Miteinander und gemeinsamen Entscheiden basiert. Im Extremfall ist die Unternehmensstruktur wie bei music4friends auf den Kopf gestellt. Im Rahmen der New Work Awards kandidieren diese mit der Umsetzung ihrer neuen Organisation, in der auch die Auszubildenden zeitweise die Aufgabe der Geschäftsleitung übernehmen und einfach mal die Rollen tauschen können.

In einem anderen Fall sagt Bernd Gaukler, Personalchef der Hotelkette Upstalsboom, dass Führungskräfte mit ihrer Funktion eine Dienstleistung an den Mitarbeitern erbringen und z.B. auch akzeptieren sollten, wenn Mitarbeiter kompetenter sind als sie.

Nun gibt es nach wie vor noch zahlreiche Unternehmen, in denen Führungsverständnis darin besteht, dass die Verantwortung in den Händen der Führungsetage liegt, von dort aus Entscheidungen getroffen, Informationen verteilt und Aufgaben kontrolliert werden.

Die Wahrheit liegt bekanntlich oft in der Mitte, so dass aktuell viele neue Ideen aus diesen beiden Extremen hervorgehen. Die Firma Pollmeier zeigt derzeit zum Beispiel einen Weg auf, der sich vielleicht so etwas wie „geführte Freiheit“ auf den Titel schreiben könnte. Die Unternehmenshierarchie wird aufgebrochen, eine Netzwerkstruktur aus Teams mit immer neuen Projekten entsteht, die Teams erhalten großen Entscheidungsspielraum, behalten jedoch den Rückhalt der Geschäftsführung und werden auch weiterhin an ihrem Ergebnis gemessen. Leistung wird gesehen und belohnt, Nicht-Leistung wird genauso gesehen und die Konsequenz gezogen.

Die Kombination aus beiden Elementen – Führung mit Freiheit – scheint auch noch mehr die nachvollziehbare Kritik an der völligen Abwesenheit von Führung aufzugreifen.

Denn basisdemokratische Entscheidungen können den neu gewonnenen Mehrwert von Agilität und Geschwindigkeit mal eben im Keim ersticken. Wenn im Meeting nur eine Entscheidung fällt, sobald alle mit der Lösung einverstanden sind, dann wird es keine oder keine schnellen Ergebnisse geben (erleben wir doch gerade in der Politik). Oder aber es leidet die Innovationsfähigkeit des Unternehmens, wenn neuen oder vielleicht auch mal absurden Ideen kein Raum gegeben wird und die Gruppe stattdessen versucht, einen Konsens auszudiskutieren.

Von daher vernachlässigen wir mal die Idee der absoluten Harmonie und Einbindung immer aller Meinungen.

Dann wäre da noch der Einwand, ob Mitarbeiter per se in der Lage sind, sich zu motivieren, wenn es keinen Druck „von oben“ gibt. Und ich spreche hier gar nicht von der Sorte Mitarbeiter, die es sich möglichst gemütlich machen, wenn sie sich nicht beobachtet fühlen. Diese Sorte Mitarbeiter wird es in allen Führungsmodellen geben, da ich davon überzeugt bin, dass wir auch bei einem festgelegten Arbeitsrhythmus (wo der Mitarbeiter von 9 bis 17 Uhr an seinem Schreibtisch zu sitzen hat) nicht produktiver sein brauchen als bei einer völlig offenen Arbeitszeitregelung, die auf keinerlei Kontrolle mehr beruht.

Es geht hier vielmehr um die Mitarbeiter, die bereits ihren Beitrag leisten und identifiziert sind. Wie motiviere ich diese zu Höchstleitungen, wenn die intrinsische Motivation schon alles gegeben hat? Ein Impuls von außen (und vielleicht auch von oben) scheint mir daher weiterhin sinnvoll. Dieser Impuls sieht anders aus als bisherige Führung. Sie ist in meinen Augen eine Art positiver Ansporn und Anschub.

Eine Vertriebsleiterin sagte mir erst neulich, dass sie diesen Ansporn braucht, um besser zu werden und ihre Ideen auch wirklich bis in die Umsetzung zu bringen. Sie meinte: an der Motivation, den Ideen und dem Committment für die Firma mangelt es ihr nicht, aber sie braucht manchmal die Ansage, ein Feedback, gern auch die kritische und ermahnende Nachfrage vom Chef, damit sie sich für die nächst größere Anstrengung aufraffen kann. Und dafür braucht es neben den inneren Treibern oft auch den äußeren Faktor. Das kann eine Person sein, die als Vorbild, Mentor oder Inspirator agiert. Das wäre ein effektives Bild von Führung und unterstreicht nochmal mehr den Gedanken der Führungskraft als Dienstleister (serviced leadership). Die Führungskraft wird in die Lage gebracht, die Mitarbeiter zu coachen, zu fördern, anzutreiben – im positiven Sinne. Denn ein Wunsch steht bei den Fachkräften heutzutage sowieso hoch im Kurs: sie wollen persönlich wachsen und reifen, sie wollen sich selbst besser kennenlernen und ihren Beitrag zum großen Ganzen leisten können.